Einst Quecksilberdampf, heute Immuntherapie:
Heuschnupfen im Griff - eine Erfolgsgeschichte
Von den ersten gewagten Theorien und Heilungsversuchen bis hin zur erfolgreichen Diagnostik und Behandlung der Pollenallergie war es ein weiter Weg. Heute gilt: Je früher erkannt, desto besser sind die Therapiechancen bei Heuschnupfen.
John Bostock, Mediziner aus Liverpool, schrieb sich im Jahr 1819 seinen Frust von der Seele: „Ob Aderlass, Spülungen, Einläufe, Diät, kalte Bäder, Opium, Quecksilber oder Fingerhut – nichts hilft!“ Der Arzt selbst litt unter einer damals noch unbekannten Krankheit, die mit roten Augen, Niesattacken und Anfällen von Luftnot einherging. Zwar hatte es in der Geschichte schon ähnliche Beschreibungen gegeben: So soll der griechische Herrscher Hippias bereits 490 v. Chr. von unerklärlichem Augenjucken und Naselaufen geplagt worden sein. Im 9. Jahrhundert beschrieb der persische Arzt Rhazes einen „Katarrh“ mit Schwellungen im Gesicht, der durch den Duft von Rosen ausgelöst werde. Bis zum 18. Jahrhundert machte man extreme Wärme, Ozon oder das Sonnenlicht für Triefnase und Juckreiz verantwortlich, sprach vom „Sommerkatarrh“.
Angriff aus der Natur
Glücklicherweise hatte das Rätselraten im Lauf des 19.Jahrhunderts ein Ende, als dem britischen Arzt und Wissenschaftler Charles Harrison Blackley – selbst Betroffener der mysteriösen Erkrankung, der zu Heilungszwecken bereits vergeblich stundenlang Benzoesäure, Kumarin, Paraffin und Minze eingeatmet und Morphium gespritzt hatte – ein Licht aufging. Nachdem an einem Sommertag eine vorbeifahrende Kutsche große Mengen Straßenstaub aufgewirbelt hatte, erlitt Blackley starke Niesanfälle und Luftnot, heftig wie nie zuvor. Kurzerhand sammelte er etwas Staub ein und entdeckte unter dem Mikroskop endlich die wahren Übeltäter: Baum- und Gräserpollen! Und weil die Beschwerden bei ihm und vielen seiner Patienten hauptsächlich während der Heuernte auftraten, setzte sich damals der eigentlich nicht korrekte Begriff „hay fever“, im Deutschen „Heuschnupfen“, durch.
Fehlalarm mit heftigen Folgen
Wer heute zu den rund 12 Millionen Deutschen zählt, die vor allem im Frühjahr kiloweise Taschentücher verbrauchen und mit roten Kaninchenaugen durch die erblühende Natur laufen, hat also einen riesigen Vorteil im Vergleich
zu früheren Generationen: Die auslösenden Quälgeister sind inzwischen bekannt, das Einatmen von Quecksilber gehört der Vergangenheit an! Man weiß heute, dass es bei Pollenallergikern zu einer überschießenden Immunreaktion kommt. Das Abwehrsystem bildet Antikörper gegen eigentlich harmlose Substanzen, zum Beispiel Birken- oder Gräserpollen. Bei Hautkontakt oder Inhalieren lösen ausgeschüttete körpereigene Alarm-Botenstoffe wie Histamin dann das Jucken, Tränen, Naselaufen und manchmal auch Schwellungen aus. Oft werden zusätzlich Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und ein allgemeines Gefühl von Abgeschlagenheit beschrieben.
Einfach aushalten? Besser nicht!
Viele Menschen, die solche Symptome an sich feststellen, unternehmen nach der Parole „Augen zu und durch!“ erst mal gar nichts. Dabei ist Aushalten und Ignorieren keine gute Idee, wie der Allergieinformationsdienst warnt. Denn unbehandelt kann eine scheinbar harmlose Pollenallergie langfristig zu ernsteren Erkrankungen führen, etwa einer chronischen Nebenhöhlenentzündung oder überempfindlichen Bronchien. Bei circa einem Drittel der Heuschnupfen-Geplagten findet ohne Therapie ein sogenannter „Etagenwechsel“ statt: Die Symptome verrutschen quasi von den oberen in die unteren Atemwege, ein allergisches Asthma mit Atemnot und trockenem Husten kann entstehen.
Besser ärztlich abklären lassen
Anhaltender Fließschnupfen, Niesanfälle und tränende Augen vor allem im Frühjahr: Solche Beschwerden sollten Betroffene deshalb besser schnurstracks zum Hautarzt oder Allergologen führen. Dort bringen Haut- und Bluttests Klarheit. Beim Pricktest werden Extrakte verschiedenster möglicher Allergene auf die Haut am Unterarm geträufelt, beim anschließenden leichten Einritzen der Haut können die Substanzen ins Gewebe eindringen – und an den Stellen, an denen der Körper allergisch reagiert, bilden sich Rötungen und Quaddeln. Beim Bluttest wiederum lässt sich die Menge spezifischer Antikörper gegen bestimmte Allergene direkt und damit noch genauer nachweisen.
Einfache Tipps für jeden Tag
Wenn erst mal geklärt ist, ob Frühblüher wie Hasel, Erle und Birke, Gräser, Beifuß oder Roggen in der Nase und im Rachen kitzeln, kann man den Kontakt zu den entsprechenden Allergenen als erste Maßnahme so gut wie möglich meiden. Pollenflug-Apps, z. B. vom Deutschen Wetterdienst, erleichtern die Tagesplanung – dann wird ein Birkenallergiker an Tagen mit hoher Belastung besser kein Picknick im Grünen veranstalten. Abends Haare waschen, Straßenkleidung nicht im Schlafzimmer ausziehen und an den Fenstern Pollengitter anbringen sind ebenfalls hilfreiche Tipps, um die Pollenbelastung über Nacht gering zu halten. Frei verkäufliche rezeptfreie antiallergische Medikamente, z.B. mit den Wirkstoffen Antihistaminika, wirken schnell, wenn sich doch deutliche Allergiesymptome melden. Lassen Sie sich am besten in der Apotheke beraten.
Immuntherapie: Langer Atem gefragt
Ein echter Durchbruch in der Allergiebehandlung ist die Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie), weil sie nicht nur Beschwerden lindern, sondern die körperliche Reaktion beeinflussen kann. Indem dem Patienten genau abgestimmt auf die jeweilige Überempfindlichkeit regelmäßig stark verdünnte Allergene gespritzt werden, gewöhnt sich der Organismus an die Substanz und „verlernt“ praktisch die überschießende Immunreaktion. Manchmal wird das Allergen auch in Tropfen- oder Tablettenform verabreicht. Nachteil: Die Behandlung zieht sich in der Regel über drei bis fünf Jahre. Allerdings zeigt sie dann gute Erfolge. Laut Deutscher Lungenstiftung e.V. profitieren bis zu 80 Prozent der Behandelten, zeigen geringere Symptome und benötigen weniger Akutmedikamente. Außerdem findet nach einer Hyposensibilisierung seltener der gefürchtete Etagenwechsel in die unteren Atemwege statt.
Wenn schon die Kleinen schniefen
Nach Schätzungen ist jedes elfte Kind in Deutschland von Heuschnupfen betroffen. Dass Augenreiben und Dauerniesen beim Spielen nerven, ist schon schlimm genug. Aber nach einer Studie der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF) beeinträchtigt die Allergie auch den Schlaf und die Konzentrationsfähigkeit von Kindern, ihr schulisches Leistungsvermögen liegt in der Heuschnupfensaison im Vergleich zu gesunden Mitschülern demnach um bis zu 30 Prozent niedriger. Zusätzlich steigert eine bestehende Pollenallergie das Asthmarisiko. Bei entsprechenden Symptomen sollten Eltern also früh kinderärztlichen Rat einholen und eine passende Therapie besprechen. Besonders die sublinguale Immuntherapie (SLIT), bei der die Allergene nicht gespritzt, sondern unter die Zunge gelegt werden, lässt sich schon bei Kindern gut durchführen. Nutzen Sie auch die fachkundige Beratung Ihrer Apotheke.
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